Die beiden Bergsteiger-Legenden Art Furrer und Kilian Volken diskutieren über Heimatgefühl, den Grossen Aletschgletscher und die Zukunft der Aletsch Arena.
«Es Glasi Wii, es Stucki Chäs und es bitzi dorfe, sone Abusitz ischt scho en glungni Sach», freut sich Kilian Volken, was aus dem Walliser Dialekt frei übersetzt heisst, dass ein gemütlicher Austausch am Abend bei Wein und Käse sehr schön sei.
In der Stube der Alphütte «Nagulschbalmu» auf der Riederalp, in der auch das Alpmuseum untergebracht ist, sitzt der 72 Jahre alte Skilehrer und Bergführer aus Fiesch seinem bekannten Berufskollegen und Medienliebling Art Furrer von der Riederalp gegenüber und schneidet ein Roggenbrot an, das er zuvor mit einem Kreuz versehen hat. «Segnen und danken, so habe ich es von klein auf gelernt», erklärt Kili, wie er von allen genannt wird. Art Furrer nickt anerkennend und stellt fest: «Du merkst also auch, dass mit zunehmendem Alter Werte, Traditionen, die Pflege von Brauchtümern immer wichtiger werden.»
Besonders sei bei ihm die Heimatverbundenheit gewachsen. «Wo immer ich bin, spätestens nach zwei, drei Tagen zieht es mich zurück auf die Riederalp», sagt der bald 87-Jährige, der während dreizehn Jahren in den Staaten lebte, weltweit auf fünfzehn Expeditionen sowie am Süd- und am Nordpol unterwegs war und mit seiner Frau Gerlinde alle Viertausender der Schweiz bestiegen hat. «Für mich gibt es tatsächlich keinen schöneren Flecken auf dieser Erde als unseren Aletschgletscher», sagt er, gönnt sich ein Stück Alpkäse und verrät dann:
«Die Kulisse, ausgehend vom Jungfraujoch, über den Konkordiaplatz, wo fünf Gletscher zusammenfliessen, bis zum Gletschertor in der Massaschlucht, begleitet mit Sicht auf die berühmten Viertausender, war für mich Sommer wie Winter einfach überwältigend. Noch immer zehre ich von meinen Erinnerungen und von meiner letzten Tour im Sommer 2022.»
Kilian Volken war während des vergangenen Sommers fast jeden Tag als Bergführer mit Gruppen auf dem Aletschgletscher unterwegs und wird ab März, wenn die Schneeverhältnisse es zulassen, wieder auf Skitouren sein. Es mache ihn stolz, die Schönheit dieses einzigartigen Naturwunders präsentieren zu dürfen, und den Gästen die eine oder andere Geschichte und Wissenswertes mitzugeben, sagt er. «Beispielsweise, dass der Grosse Aletschgletscher das grösste Süsswasser-Reservoir Europas ist», so Volken.
«Würde man den Gletscher abtauen, könnte jeder Mensch auf der Erde während dreieinhalb Jahren täglich mit einem Liter Wasser versorgt werden. Das ist doch unvorstellbar», fügt er hinzu und hebt sein Glas Rotwein: «Lass uns auf den Gletscher anstossen Arti, Gsundheit!»
Der Grosse Aletschgletscher – 20 Kilometer lang, durchschnittlich 1,5 Kilometer breit und am Konkordiaplatz bis zu 800 Meter tief – ist der längste und tiefste Eisstrom der Alpen. Majestätisch wie ein gefrorener Fluss legt er zwischen Seitenmoränen talabwärts jeden Tag 40 Zentimeter zurück und verliert dabei jährlich zwischen drei bis sieben Meter an Höhe und 35 bis 45 Metern an Länge. Glaziologen prognostizieren, dass er in achtzig Jahren bis auf einen Rest am Konkordiaplatz komplett abgeschmolzen sein wird.
Eine Tatsache, die natürlich auch Furrer und Volken beängstigt. Beide waren sie schon als kleine Buben auf dem Aletschgletscher. Art mit seinem Vater, dem Wilderer, Kilian mit seinem «Tätä», wie er seinen Vater nannte, der wie schon der Grossvater Bergführer war. Damals, als der Aletschgletscher noch gänzlich mit den Gletschern auf der rechten Hangseite verbunden war. Den Klimawandel als Zeitzeugen zu erleben, die wegen des zurückgehenden Permafrosts bröckelnden Berge zu sehen, mache im Herzen weh, erklären beide unabhängig voneinander und sind sich bei Lösungsansätzen einig: «Die globale Erderwärmung muss gestoppt werden!» Denn die sei gerade in den Bergen ausserordentlich stark spürbar, erzählt Volken. «Wenn die Sonne auf die Felswände entlang des Gletschers brennt, werden diese zu Speicheröfen. Das beeinträchtigt den Gletscher ungemein. Oft werde ich auf Touren auch von Gästen gefragt, ob wir mit unseren Steigeisen dem Gletscher schaden würden. Ganz ehrlich, darauf habe ich noch keine schlüssige Antwort gefunden. Ich weiss nur, dass wir dem Aletschgletscher Sorge tragen müssen.»
Art Furrer und Kilian Volken bemühen sich, mit gutem Beispiel voranzugehen. Während Furrer schon vor Jahren seinen Führerschein abgegeben hat und seitdem begeisterter Zugfahrer ist, versucht auch Volken, wann immer möglich statt mit dem Auto zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs zu sein. «Am wichtigsten aber ist es, diese unsägliche Vielfliegerei zu stoppen», erzürnt sich Art Furrer. «Es kann doch nicht sein, dass heute ein Flugticket oftmals weit billiger ist als eine Zugfahrt», redet er sich in Rage, worauf Kilian Volken, der Höhenbergsteiger, der schon auf dem Mount Everest war, zugibt: «Da hast du recht, Arti. Bezüglich des Fliegens müsste auch ich mich bessern und dürfte dann beispielsweise keine ausländischen Expeditionen mehr unternehmen.»
Abendelang haben Art Furrer und Kilian Volken schon über den Gletscher, die Berge und über die touristische Weiterentwicklung der Aletsch Arena diskutiert. Während Art seit Jahren für eine Verbindung über den Gletscher auf die Belalp plädiert und eine bessere Zusammenarbeit aller Leistungsträger fordert, liegt Kili, für den die Aletsch Arena vor allem ein traumhaft schönes Familienskigebiet ist, aber auch die Eröffnung von Free- ride-Routen am Herzen. «Unser Gebiet ist dafür prädestiniert, da sehe ich auch die Zukunft des Skisports gerade bei jungen Menschen.»
Der Käse ist aufgegessen, die Flasche Wein leer – auch wenn es noch genügend Gesprächsstoff gibt, ist es Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Ein neuer Skitag lockt am nächsten Morgen. Während der Wintersaison jeden Tag auf den Ski zu stehen, ist für beide Männer Ehrensache. Und ganz bestimmt schenken sie dann auch «ihrem» Aletschgletscher einen Blick. Denn wenn er im Winter schneebedeckt ist, schlafe er, verrät Kilian Volken. «Stimmt», antwortet Art Furrer. «Und dann ist er besonders schön.»