Blog Gletschergeflüster

Glaziologe Matthias Huss: «Eine künstliche Rettung des Aletschgletschers ist ausgeschlossen»

Geschrieben von Eva Eyholzer | Sep 10, 2025 8:00:00 AM

Niemand kennt den Grossen Aletschgletscher so gut wie Matthias Huss, Gletscherforscher und Klimawissenschaftler. Im Interview spricht er über den aktuellen Stand des Gletschers und was die Abschmelzung für das Gebiet bedeutet.

Mehrmals jährlich besucht Matthias Huss den Grossen Aletschgletscher beruflich. Sein Lieblingsplatz ist der Konkordiaplatz. Seine Begründung: «Die Weite des Eises in alle Richtungen ist einfach jedes Mal unglaublich!»

Mit welchen Methoden dokumentieren Sie den Zustand des Grossen Aletschgletschers? 
Wir wenden einerseits traditionelle Methoden an, die seit über 100 Jahren auf dem Grossen Aletschgletscher nahezu unverändert zum Einsatz kommen: Dazu bohren wir Messstangen ins Eis, die im Verlauf eines Jahres sowohl das Abschmelzen als auch – im oberen Bereich des Gletschers – die Schneeanlagerung dokumentieren. Im Winter führen wir zudem auf dem ganzen Gletscher Schneesondierungen durch und messen die Schneedichte. Zusätzlich werden aber auch luftgestützte Daten immer wichtiger: Dank swisstopo (www.swisstopo.ch) haben wir Zugang zu Erhebungen des Gletscherumrisses und der Höhe der Eisoberfläche. Daraus lassen sich wichtige glaziologische Kennwerte ableiten, etwa zum Verlust an Eisfläche und Eisvolumen im ganzen Gletschersystem. Seit einigen Jahren setzen wir zudem kleine Webcams ein, die uns täglich Informationen über den Zustand des Gletschers geben – insbesondere über die Schneehöhe und zur Schmelze an ausgewählten Punkten. 


2022 verlor der Aletschgletscher am Konkordiaplatz etwa sechs Meter Eisdicke. Erwartet uns jetzt nach diesem schneearmen Winter ein ähnlicher Verlust?

Das ist schwierig zu sagen, da dieser Verlust durch das Wetter im Sommer bestimmt wird. Wenig Schnee ist aber eine schlechte Voraussetzung: Der Gletscher apert früh im Jahr aus, wodurch sich die Zeitperiode der Eisschmelze verlängert. Wenn wir also einen ähnlich warmen Sommer wie 2022 bekommen, ist ein vergleichbarer Verlust nicht auszuschliessen. 

Wie stark wird sich der Grosse Aletschgletscher in den nächsten 50 bis 100 Jahren verändern? 
Der Gletscher wird weiterhin sehr stark zurückgehen. Dagegen hilft vorerst sogar weltweiter Klimaschutz nur wenig. Der Gletscher ist viel zu gross für das aktuelle Klima und versucht sich immer noch der Erwärmung der letzten Jahrzehnte anzupassen. Konkret bedeutet das: Bis zum Jahr 2100 werden wir sehr wahrscheinlich die ganze Gletscherzunge unterhalb des Konkordiaplatzes verlieren. Das ist schwer vorstellbar! Klimaschutz könnte frühestens gegen Ende des Jahrhunderts noch dazu beitragen, den oberen Teil des Gletschers zu retten. Anstelle der Gletscherzunge wird dann ein tief eingeschnittenes Tal mit See und neuen Wäldern entstehen. Also auch eine spannende Landschaft – aber halt ganz anders, als wir sie heute kennen. 



Was halten Sie von technischem oder künstlichem Schutz (z. B. Schutzvliese) des Eises? Kann der Gletscher so stabilisiert werden? 
Diese Technologien sind auf kleinem Raum effizient. Wenn beispielsweise ein Gletscher-Skigebiet seine Piste erhalten muss, ist ein solcher Einsatz denkbar. Allerdings sind die Kosten sehr gross, und durch die Zersetzung der verwendeten Materialien entstehen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Eine künstliche Rettung des Aletschgletschers ist deshalb ausgeschlossen. Das wäre zudem auch absurd: Für einen solchen Eingriff müssten Milliarden von Franken ausgeben werden. Gleichzeitig würde die sensible Natur dadurch komplett zerstört werden, während der Rückgang des Gletschers bestenfalls leicht verlangsamt werden könnte. 

Lässt sich die Gletscherschmelze überhaupt aufhalten? 
Zum Teil. Klimaschutz kann den entscheidenden Unterschied machen, ob der Aletschgletscher vollständig verschwindet oder zumindest teilweise erhalten bleibt. Eines muss jedoch klar sein: Dafür braucht es eine globale Allianz und eine gemeinsame Strategie aller Staaten. Nicht nur Europa, auch die USA, Russland und China müssen ihre Emissionen in den kommenden Jahrzehnten auf null senken. 

Also nützt Klimaschutz noch?
Ja, Klimaschutz wirkt, doch für viele Alpengletscher kommt er zu spät. Auch wenn zahlreiche Gletscher nicht mehr zu retten sind, trägt konsequenter Klimaschutz weltweit dazu bei, das Abschmelzen der grossen Eismassen in den Polarregionen zu verlangsamen. Zudem mildert Klimaschutz viele weitere, oft noch gravierendere Folgen des Klimawandels, etwa extreme Niederschläge, Hitzewellen und Dürren. 

Das ganze Interview mit Glaziologe Matthias Huss und weitere spannende Geschichten kannst du im neusten Destinationsmagazin lesen – exklusiv erhältlich vor Ort in der Aletsch Arena.