Seit vielen Jahren hat sich Xandi Furrer dem Gleitschirm verschrieben und leitet seit 20 Jahren seine eigene Flugschule in Fiesch. Seither setzt er sich auch intensiv mit der Wetterkunde auseinander. Für ihn und seine Fluggäste ist eine zuverlässige Einschätzung der Bedingungen essenziell.
«Die Augen immer offenhalten», ist sein Ratschlag, denn im Gebirge können Wetterumschwünge schnell gefährlich werden. «Aber Natur und Wetterdaten sprechen eine klare Sprache, wenn man sie zu deuten versteht.»
Gerade stehen wir auf der Aussichtsplattform am Eggishorn, nur einen Katzensprung von der Bergstation entfernt. Unter uns der Grosse Aletschgletscher, der sich gewaltig ins Tal schiebt. Wir geben uns einen Moment Zeit, das überwältigend erhabene Gefühl der Natur auf uns wirken zu lassen.
Über uns strahlt der Himmel. Kunstvoll betupft mit ein paar Wolken-Knäueln, die sich wie ein Blumenkohl nach oben wölben. «Das sind Cumuluswolken», erklärt Furrer. «Man erkennt sie an der klaren, meist dunkleren Untergrenze und dem quellförmigen Aufbau darüber.» Sie werden auch Schönwetterwolken genannt – ausser sie bilden sich bereits am frühen Morgen.
Xandi sagt: «Wenn ihr morgens bis ca. 10 Uhr aus dem Fenster schaut und seht, dass die Wolken höher als breit sind, dann sind sie meist Anzeichen für ein aufziehendes Gewitter!» Cumulus Castellani heissen diese Gebilde, die wie Türme von Schlössern in den Himmel ragen. «Oder Kanonenrohre», sagt der Fluglehrer mit einem Schmunzeln, denn diese Wolken deuten wirklich auf sehr labile Luft hin, «und dann kann das Wetter auch abgehen, wie eine Kanonenkugel!»
Wenn eine Etage über den Cumuluswolken eine Herde kleiner Schafe vorbeizieht, dann sind das die Altocumulus, auch Schäfchenwolken genannt. Es sind kleine, meist regelmässig angeordnete Wolkenteile, die im Flachland eher schönes Wetter signalisieren. «Aber hier in den Bergen kann man sich darauf nicht verlassen», betont Xandi. Die Aletsch Arena und ihre umliegenden Berge erreichen oft die «Flughöhe» dieser Wolken, und dann steigt man im Nebel umher.
Ganz weit oben schliesslich finden sich die Cirruswolken. Dünne und faserige Wolken, die wie weisse Federn aussehen und eine allmähliche Wetterverschlechterung innerhalb von 24 bis 48 Stunden ankündigen. Auch Stratuswolken – niedrige Schichtwolken, die ein eintöniges und strukturloses Erscheinungsbild (auch Hochnebel) kennzeichnet –, deuten erfahrungsgemäss auf einen Wetterumschwung hin.
«Und die ganz kleinen Streifenstücke?», wollen wir zuletzt noch wissen. «Sind Reste von Kondensstreifen», werden wir aufgeklärt. «Je schneller sie sich auflösen, desto stabiler die Wetterlage!»
Für den Moment also scheint alles in bester Ordnung zu sein und wir geniessen noch eine Weile den spektakulären Ausblick. «Hat diese riesige Eismasse keinen Einfluss auf die Wolkenbildung oder auf die Thermik beziehungsweise den Wind?», wollen wir wissen. «Auf die Thermik hat er schon einen Einfluss», betont Xandi Furrer. «Was meint ihr, warum im Sommer hier so viele Gleitschirmpiloten unterwegs sind?» Damit die Luft nach oben steige, brauche es mindestens einen Temperaturunterschied von 2 Grad, erklärt er. Ein Zustand, der an warmen Sommertagen schwerer erreicht wird, wenn der Boden und die Umgebungsluft stark erwärmt sind.
In den Bergen kühlt sich die Luft in der Nacht viel deutlicher ab und der Gletscher verstärkt diese Abkühlung. «Der wirkt wie eine Klimaanlage und macht die Gletschertouren zu erfrischenden Sommer-Erlebnissen», fügt er hinzu. Zumindest, solange es die Gletscher noch gibt. Denn besonders Menschen wie Xandi, die ihr Leben in Nachbarschaft des Aletschgletschers verbracht haben, beobachten mit Sorge das dramatische Abschmelzen des grössten Süsswasserspeichers in den Alpen.
«Aber so wie der Gletscher Einfluss auf die Thermik hat, so beeinflussen auch die Berge den Wind», fügt Xandi hinzu, während wir zur Tour über den aussichtsreichen Grat hinüber zum Bettmerhorn aufbrechen. Ganz allgemein weht in den Bergen der Wind meist nachts und frühmorgens als Bergwind von den Hängen ins Tal. Bei stabilem Hochdruckwetter dreht er sich im Laufe des Vormittags und weht dann vom Tal zum Berg. «Aber vergesst nie, dass die Berge ihre eigenen Regeln schreiben: Methoden wie die sogenannte Querwind-Regel* etwa mögen im Flachland sehr gut funktionieren, aber eben nicht hier oben bei uns.»
Generell gilt es zu beachten, dass im Frühling und Sommer das Wettergeschehen sehr labil und anfällig für plötzliche Umschwünge ist. «Im Herbst und Winter ist das Wetter eher träge und besser einzuschätzen», sagt Xandi.
*Mit dem Rücken zum bodennahen Wind stellen und die Zugrichtung der hochliegenden Wolken beobachten. Ziehen sie von links nach rechts, wird das Wetter schlechter; von rechts nach links: besser; in Blickrichtung: das Wetter bleibt gleich – und wenn sie auf dich zukommen, bleibt das Wetter erstmal so wie es ist, sollte aber gut beobachtet werden, da es bei Drehung des Windes schnell zu einem Wetterumschwung kommen kann.
Klar im Vorteil ist man in Bergregionen, die vergleichbar beständiges Wetter haben wie in der Aletsch Arena. Sie zählt über 300 Sonnentag im Jahre. Trotz Höhenlage und inmitten einer Hochalpinregion. Wie kommt das zustande? Xandi Furrer erklärt: «Das Tal, in dem wir liegen, hat die perfekte Ausrichtung von Ost nach West. So schützen die hohen Berge im Norden und Süden vor heranziehenden Druckgebieten und wir profitieren vom Föhn, der hier einen grossen und positiven Einfluss auf das Wetter hat.»
Als warmer Fallwind bringt er viele warme und trockene Tage, die sich hervorragend zum Wandern eignen. «Darüber hinaus bedingt die Ost-West-Ausrichtung auch, dass die Sonne von früh bis abends einstrahlen kann – ein klarer Standortvorteil.»
Für unsere Wanderung haben wir eine ausgesetzte Route gewählt. Allerdings im besten Wissen, einen Sonnentag erwischt zu haben. «Bei Regen oder gar Gewitter sollte man auf anspruchsvollere Bergtouren wie diese unbedingt verzichten. Zum Glück gibt es ja ausreichend Alternativen», sagt er. «Werdet ihr am Berg mit einem Gewitter überrascht, müsst ihr unbedingt die exponierten Punkte und wasserführende Bereiche meiden und euch einen geschützten Ort suchen.»
Ist keiner in der Nähe, gilt es sich schnell möglichst klein hinzukauern, alle metallische Gegenstände beiseitezulegen und zwischen den Gruppenmitgliedern Abstand zu halten. Alle auf einem Haufen würde schlicht dazu führen, dass man einen besseren Angriffspunkt für die Blitze bietet. Bei Gewittern entladen sich Stromstärken von bis zu 400’000 Ampere und Temperaturen bis zu 30’0000 Grad. Das bedeutet absolute Lebensgefahr.
Daher lautet Xandis Tipp für die nächste Tourenplanung: «Bei der Planung lieber auf Nummer sicher gehen und notfalls einen Tag später starten. Mit Unwetter ist in den Bergen nicht zu spassen. Ihr bringt ansonsten euch und die Bergrettung in Gefahr.»
Auf unserer Tour verlassen wir nun langsam das riesige Felsenmeer und erreichen saftige Wiesen, die gerade in voller Blüte stehen. Immer wieder begegnen wir Kühen, dem ein oder anderen Mountainbiker, den lustig dreinschauenden Schwarznasenschafen und Silberdisteln. «Unsere hiesigen Meteorologen. Schafe und Kühe suchen sich in der Regel kollektiv bei nahendem Gewitter den niedrigsten Weideplatz aus», sagt Furrer. «Und das mit Vorlauf – quasi ein meckerndes Frühwarnsystem.» Ameisen seien vor Gewittern sehr unruhig und geschäftig. «Das kann man gut beobachten.»
Aber auch die Pflanzenwelt verrät einiges: Silberdisteln zum Beispiel öffnen die Blüte nur, wenn mehrere Stunden Sonnenschein warten. Auch der Klee, so lernen wir, lässt seinen Kopf hängen, wenn Regen bevorsteht. «Und wenn wir nachher in den tausend Jahre alten Arvenwald eintauchen, könnt ihr an den Zapfen das Wetter ablesen.» Ein Schliessen der Schuppen deutet auf baldigen Regen hin, während weit geöffnete Schuppen für eine stabile Wetterlage stehen. Kastanie, Ahorn und Erle dagegen sondern vor Regenschauern eine Flüssigkeit aus Blättern und Blattstilen ab.
Es klingt fast so, als bräuchte man Hightech-Uhren und sämtliche Wetter-Apps gar nicht. Pflanzen, Tiere, Wind und Wolken scheinen als Wettermoderatoren einen guten Dienst zu leisten. Doch Xandi verrät, dass gute Wetter-Apps und -vorhersagen mittlerweile schon das Mittel der Wahl sind, um das Bergwetter bestmöglich einschätzen zu können. Im besten Fall in Kombination mit dem Wissen um Wolken & Co.
Für die Region empfiehlt er www.meteoblue.com. «Sehr verlässlich und mit anschaulichen Animationen versehen ist auch die Bergwetter-App MeteoSwiss, die zudem einen integrierten Unwetter-Warndienst bietet.» Allgemein sei es immer am besten, am Vortag die Wetterkarte anzuschauen, ob ein Hoch- oder Tiefdruckgebiet im Anmarsch ist. «Wenn ihr dann noch mit den genannten Wetter-Apps nachjustiert, dann seid ihr gut gewappnet.»
Gefüttert mit wertvollem Wissen und dem Erlebnis einer atemberaubend schönen Bergtour erreichen wir die ersten Chalets der autofreien Bettmeralp. Wir freuen uns auf eine herzhafte Walliser Spezialität. Danach kriechen wir schnell in die Federn, um am nächsten Tag wieder fit für eine weitere Tour zu sein. Denn schliesslich deuten alle Wetterfrösche auf ein stabiles Hochdruckwetter hin. «Ausser ihr seht morgen früh ein Morgenrot auf den tiefliegenden Wolken oder auch eine schmutzig-gelbe Sonne», sagt uns Xandi Furrer mit einem Grinsen zum Abschied. Ja, zumindest diese alte Bauernregel kannten wir schon: «Morgenrot, Schlechtwetter droht». An Gültigkeit hat sie anscheinend nicht verloren.