C.C. Schmid

Schätze des Waldes

Lesezeit: 10 Minuten

Die Bergwälder der Aletsch Arena sind eine Schatzkammer der Natur. Stefanie Mattig, Kräuterfrau in vierter Generation, zeigt, wie die Wälder uns heilen und inspirieren.

Wälder sind ein ganz besonderer Schatz der Natur. Sie bieten Lebensraum für zahlreiche Pflanzen und Tiere. Auch für uns Menschen sind sie lebensnotwendig und liefern ganz nebenbei wertvolle Zutaten für wohltuende Produkte. Kiefern und Fichten, Birken und Lärchen lindern körperliche Beschwerden und sind im Übrigen auch in der Küche Grundlage für fast vergessene Rezepte. Das weiss auch Stefanie Mattig – eine junge, aktive Kräuterfrau in vierter Generation. Sie lebt auf der Bettmeralp, einem kleinen autofreien Bergdorf, hoch über dem Aletschgletscher gelegen. 

 

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Stefanie Mattig ist am liebsten in der Natur unterwegs

 

Wie nah man dem Himmel hier ist. Weit oben, auf dem Hochplateau der Bettmeralp im Wallis in 2000 Meter Höhe, umgeben von kraftvoller, duftender Natur. Durch Wiesen führt der Weg, in südlicher Ferne stapelt sich eine stattliche Anzahl von Viertausendern zur fantastischen Kulisse ins wolkenweiss betupfte Frühlingsblau. Dann, ein Stück weiter, geht es an Bäumen vorbei, oft nadeldunkel, manchmal laubhell leuchtend. Für Stefanie Mattig-Wirthners Gäste ist es ein typischer Bergwald, wie man ihn hier, inmitten der UNESCO-Welterbe-Region Swiss Alps Jungfrau-Aletsch, öfter antrifft. Doch das «Chritterhägsli», wie sich Steffi selbst nennt, sieht viel mehr in den Tannen und Fichten, Flaumeichen, Lärchen und Arven, die – je nach Ort und Höhe – in unterschiedlicher Zusammensetzung wachsen. Für sie sind sie: Apotheke, Speisekammer, Kraftort. «Wer hier auf sein Herz hört, bekommt eine Verbindung zu Mutter Erde.»

Steffis Rezepte aus dem Wald

Für das Chritterhägsli Steffi Mattig ist der Wald eine wahre Schatzkammer an leckeren und wohltuenden Zutaten für Speisekammer und Hausapotheke.

Aber Achtung: nur sammeln und pflücken, was man kennt! Es gibt viele Beeren, Blätter und Wurzeln, die für den Menschen giftig sind. Aber auch Pflanzen mit Heilwirkung sind mit Vorsicht zu geniessen und besonders bei Menschen mit Vorerkrankungen, Schwangeren oder im fortgeschrittenen Alter besser in Absprache zu nehmen.

 

Vom Wald in den Mund

1. Kaugummi aus Harz

Zutaten: weicher Harz

So geht's: Schaue im Wald nach Austritt von Harz an den Bäumen und streife ein wenig davon ab. Einfach in den Mund damit und so lange kauen, bis eine homogene Masse
entsteht.

Steffis Tipp: Aufpassen, dass keine Ameisen oder Dreck im Harz kleben und aus Versehen mitgegessen werden!
Nicht für die 3. Zähne geeignet, da das Harz zu Beginn sehr klebrig ist und erst durch das Kauen mehr Geschmeidigkeit erhält.

 

2. Nüsse aus Arvenzapfen

Zutaten: herumliegende Arvenzapfen

So geht's: Halte auf dem Waldboden Ausschau nach herumliegenden und gut erhaltenen Arvenzapfen. Prüfe, ob ein Tannenhäher dort ein Loch für seine Nüsse gebohrt hat. Wenn ja: Picke die Nüsse heraus und guten Appetit!

Steffis Tipp: Der Aletschwald ist geschützt und das Pflücken verboten. Also nur herumliegende Zapfen verwenden!

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Entdecken und Fühlen: Ein Spaziergang für die Sinne 

Dieses Gefühl, diese Verbindung, will das Chritterhägsli ihren Gästen nahebringen. Aus und von der Natur zu leben, das hat Steffi Mattig-Wirthner von klein auf kennengelernt. Mutter, Oma oder Uroma, alle Frauen der Familie haben ihre Kräuterkenntnisse an die 33-Jährige weitergegeben. «Und dieses wertvolle Familienwissen habe ich durch eine Vielzahl von Lehrgängen ergänzt», erzählt die sportliche junge Frau, die so gar nichts an sich hat, was dem landläufigen Bild einer Hexe nahekommt. Auch eine Ausbildung zur Aromatologin wird sie demnächst abschliessen, um der Verbindung von Seele und Körper mit Düften näher zu kommen. Im Winter zaubert die moderne Kräuterfrau inzwischen Badesalze, Cremes, Salben aber auch Tees und Duftkerzen. 

 

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Der Waldboden im Aletschwald beheimatet so manchen wertvollen Schatz

 

«Wie wär’s mit einem Kaugummi?» Die Wandergruppe schaut skeptisch. Dass Baumharz, vermischt mit Birkenzucker und ein paar weiteren Zutaten, eine natürliche Alternative zum landläufigen Mikroplastik-Erdölprodukt ist, wissen die wenigsten. Oder dass Wacholder die Basis für eine wärmende Salbe ist, die Verspannungen löst. Dass aus Kiefernzapfen eine Tinktur angerührt werden kann, die bei Prellungen und blauen Flecken hilft und bei entzündetem Zahnfleisch die Wurzel der Berg-Nelkenwurz die Beschwerden lindert. «Der moderne Mensch hat das alles vergessen. Wir müssen erst wieder sehen lernen», sagt Steffi. Und leitet an: «Schliesst ein Auge, beobachtet den Wald, setzt alle Sinne ein.» Hören, sehen, riechen, spüren. So bekommt der Wald eine Gestalt, und offenbart sich neu. 

Steffis Rezepte aus dem Wald

Ab hier ist ein wenig Handarbeit gefragt

3. Badesalz: «Waldbaden in der Wanne»

Ein wohltuendes Badesalz – nicht nur bei Stress und Erkältungen.

Zutaten für zwei bis drei Vollbäder:

  • 10 EL grobkörniges Meersalz

  • Eine Handvoll Nadeln von Fichten, Wacholderbäumen, Kiefern und anderen Nadelbäumen

  • 10 Tropfen eines ätherischen Öls nach Belieben (z. B. Kiefer, Weisstanne, o. Ä.)

  • 1 Glas mit Schraubdeckel, Wiegemesser und Mörser

So geht's: Nadeln mit Hilfe eines Wiegemessers zerkleinern (ein grosses Küchenmesser geht auch!). Anschliessend mit dem Mörser zerreiben und zusammen mit dem Meersalz in ein verschliessbares Glas füllen. Gut schütteln, das ätherische Öl hinzugeben und das Glas verschliessen.

Steffis Tipp: Am besten getrocknete Nadeln verwenden, da sie leichter zu verarbeiten sind und eine schönere Farbe behalten. Das Badesalz erst in die volle Badewanne geben. Das Badesalz wirkt entspannend und bringt den Duft des Waldes in das Badezimmer. Ausserdem hilft es durch seine schleimlösende Wirkung die Atemwege bei Erkältungen zu befreien.

 

Zauberwald für kleine Entdecker 

Besonders bildlich, meint das «Chritterhägsli», lässt sich die Mission anhand ihrer Kindertouren erklären. «Langweilig’ höre ich oft, wenn wir starten», erzählt Steffi lächelnd. Aber es dauere nie lange, bis die Kinder den Wald mit neuen Augen sehen und ihn in ein Land der Fantasie verwandeln. Aus Moos, Rinde, Blättern und Ästen entstünden Natur-Mandalas am Boden, aus Tannennadeln im mitgebrachten Mörser ein Badesalz für zuhause. Steffis «Anleitung zum Sehen und Fühlen», sie funktioniert. Bei Kindern, wie bei Erwachsenen. Und so werden selbst die mitgebrachten Vesperbrote dank der gesammelten Wildkräuter aus dem Wald in kunterbunte Kunstprojekte aus Rotklee, Spitzwegerich, Weidenröschen – die auch noch lecker schmecken. 

 

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Mit Waldkräutern verzierte Vesperbrote

 

Bei aller Freude an der gut gefüllten Speisekammer Wald, warnt Steffi aber auch eindringlich: «Esst niemals Pflanzen, die ihr nicht kennt.» Denn auch das hätten die meisten Kinder nie gelernt und viele Erwachsene längst vergessen: zu erkennen ob etwas geniessbar ist oder nicht. «Die moderne Ernährung hat ein Überangebot an Zucker – deswegen kennen die Leute die Wirkung von Bitterstoffen nicht mehr.» Die einladenden roten Beeren des Seidelbasts etwa seien «supergiftig». Und Steffi ergänzt, dass man nur so viel pflücken und ernten sollte, wie man gerade braucht. Die frischen Tannen-, Fichten- oder Lärchenspitzen im Frühjahr zum Beispiel, hellgrün in den dunklen Wald gesprenkelt, sind wichtig für das Wachstum und die Entwicklung der Bäume. Verwendbar sind sie vielfältig, als Sirup, Tinktur, Honig, zum Genuss und als Medizin gegen Husten oder Frühjahrsmüdigkeit. Auch die Lärche ist so ein Tausendsassa, vor allem das Harz, aus dem das Lärchenterpentin gewonnen wird. «Für mich», sagt die Kräuterfrau, «steckt darin der Duft des Waldes.» Umso vorsichtiger gewinnt sie das Harz hinter der Rinde für ihre Naturkosmetik und die Räucherkurse, um die Bäume nicht zu beschädigen.

Ihre Gäste werden heute noch viel mehr erfahren, über Wacholderhonig etwa und wie man ihn herstellt. Über die Birke, aus deren Blättern und Knospen sich Tees und Gewürze, Shampoos und Badezusätze herstellen lassen, und in deren Holz gesunder Zucker steckt. Und wie man Harze zum Räuchern verwendet, um «das Herz zu öffnen und zu klären.» Es ist diese spirituelle Sicht der Dinge, für die Steffi auch mal belächelt wird. Dann lässt sie die Natur sprechen: «Am Ende des Waldes sind alle komplett entspannt – und haben mich verstanden.»

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Steffis Rezepte aus dem Wald

Auf dem Weg zum Wald

4. Rezept gegen die Frühjahrsmüdigkeit

Steffis Tipp: Im Frühling erwacht auch der Mensch wieder aus einem Winterschlaf, in dem er sich oft weniger bewegt und andere (oft auch mehr) Nahrung zu sich genommen hat. Um den Körper mitsamt seinen Organen wieder auf Touren zu bringen, empfiehlt Steffi gesunde Bitterstoffe, wie sie in vielen grünen Gemüsesorten enthalten sind.
Sehr zu empfehlen sind etwa die Blätter vom jungen Löwenzahn, der Brennnessel, Spitzwegerich, Rucola & Co. als Tee, Suppe oder Pesto vielseitig und leicht zu verwerten!

 

5. Leberwickel

Ein gesunder und wohltuender Kick für die Leber, der gleichzeitig auch entschlackend und verdauungsfördernd wirkt sowie die Blutzirkulation anregt.

Zutaten:

  • 2 EL Schafgarbe

  • 500 ml Wasser

  • 1 Wärmflasche

  • 2 Baumwoll-/Leinentücher

  • 1 Wolldecke

  • 2 Schüsseln und Trinkbecher

So geht's: Die kleingehackte Schafgarbe mit heissem Wasser in der Schüssel aufgiessen und mind. 15 Minuten ziehen lassen. In der Zwischenzeit die Wärmflasche und einen gemütlichen Sitzplatz mit Wolldecke vorbereiten. Jetzt den Sud durch ein Sieb oder Tuch in den Becher und eine weitere Schüssel abgiessen. Das Baumwoll- oder Leinentuch in den Sud der Schüssel tauchen, anschliessend gut auswringen und auf die Leber legen. Ein weiteres Tuch darüber, mit der Wolldecke zudecken und Wärmeflasche darüber. Füsse hochlegen, den Tee langsam geniessen und: Ruhe!

Steffis Tipp: Die Zeit zwischen 15:00 und 16:00 Uhr eignet sich am allerbesten für den Leberwickel, da es die die «Arbeitszeit» der Leber ist. (Auch gut: nachts zwischen 3:00
und 4:00 Uhr). Durch die Feuchtigkeit und Wärme wird die Entgiftung der Leber angeregt. Aufhören, wenn der Wickel kalt und trocken wird.

 

6. «Entgiftungschips»

Zutaten: Trockene, saubere Blätter von Brennnesseln, Löwenzahn und / oder Spitzwegerich sowie Kokosfett.

So geht's: Kokosfett erhitzen und die Blätter darin frittieren. Nach kurzer Zeit herausnehmen und auf einem Küchentuch abtropfen und etwas trocknen lassen. 

Steffis Tipp: Super easy und super lecker! Die Brennnesselblätter mit einem Nudelholz zwischen einem Küchentuch ausrollen damit die Härchen kaputt gehen und nicht mehr piksen!

 

Spirituelle Kraft und Heilwirkung des Aletschwaldes

Diese Zauberwirkung hat vor allem der Aletschwald auf dem nordwestlich ausgerichteten Hang der Riederalp. Ganz anders sind die Bäume hier, gezeichnet vom rauen Gebirgsklima, uralt. Manche der Arven tragen die Last von Jahrhunderten. Zwischen ihren Stämmen blitzt es weiss: Es ist der mächtige Strom des Aletschgletschers, der das Panorama für jeden Betrachter mit einer ehrfürchtigen Magie belegt. Der Wald hier oben ist streng geschützt. Im Aletschwald selbst darf man die Wege nicht verlassen, nichts von den Arven und Lärchen ernten, keine Zapfen, Äste, Nadeln entfernen.

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Umso stärker darf man hier bei einem bewussten Waldspaziergang die Kraft des Waldes spüren und senkt dabei ganz nebenbei seinen Blutdruck, Botenstoffe laden die Energiereserven auf. In der Sommersaison wird hier Shinrin Yoku-Kurse (deutsch: Waldbaden) angeboten, ein Gesundheitstrend aus Japan. Der Aletschwald ist für das «Chritterhägsli» schon immer Heimat gewesen, Rückzugsort und Tankstelle. «Plagt mich ein Problem», erzählt Steffi, «dann wandere ich hier hinauf – und wenn ich ankomme, dann weiss ich meist meine Lösung.» 

Rezepte von anderen Kräuterfrauen

7. Tannenspitzen-Tee

Zutaten: 1 bis 2 zerkleinerte Wipfel der Tanne oder Fichte (frisch geerntet oder getrocknet)

So geht's: einfach mit kochendem Wasser übergiessen und ca. zehn Minuten ziehen lassen. 

Tipp: In jungen Triebspitzen von Nadelbäumen stecken ätherische Öle, Harze, Tannine und viel Vitamin C. Einfach, aromatisch und wirksam unter anderem zur Vorbeugung und Behandlung von Erkältungskrankheiten. Die beste Zeit zum Sammeln der jungen Triebe ist Ende April bis Ende Mai. Die leicht säuerlichen Triebe passen fein gehackt auch sehr gut in Kräuterquark, Salat und Pesto. 
Achtung: Bitte immer nur ganz wenige Triebe eines Baumes ernten, um ihn nicht zu schädigen und vorher die Eigentumsverhältnisse klären!

 

8. Tannenspitzenhonig

Zutaten: 300 Gramm junge Tannen- oder Fichtenspitzen, 300 Gramm Zucker und 300 Milliliter Wasser

So geht's: Tannenspitzen in einen Topf legen und mit Wasser bedecken. Kurz aufkochen und drei Stunden auf niedriger Flamme ziehen lassen. Danach den Topf vom Herd nehmen und 24 Stunden lang stehen lassen. Die mittlerweile milchige Flüssigkeit durch ein feines Sieb oder Tuch absieben und mit derselben Menge an Zucker einkochen, bis eine zähe Masse entsteht. In saubere Einmachgläser gefüllt und gut verschlossen hält sich der Honig mehrere Monate.

 

C.C. Schmid

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