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«Ich darf da leben, wo andere Ferien machen!»

Geschrieben von Eva Eyholzer | Oct 10, 2024 9:46:13 AM

Familie, Werte und die Pflege von Traditionen sind ihr wichtig: Zu Besuch bei Ramona Imhasly aus dem Fieschertal.

Hell und gemütlich ist es in der Wohnküche der Familie Imhasly im Fieschertal. Dass hier gekocht, gebacken und vor allem gelebt wird, beweist der grosse Holztisch in der Mitte des Raums. «Hier spielt sich unser Familienleben ab, hier wird gegessen, aber auch geredet, gelacht, erzählt und viel und oft diskutiert», erzählt Ramona Imhasly.

 

 

Traditionen pflegen und leben

Seit elf Jahren lebt die 46-jährige gebürtige Berner Oberländerin zusammen mit ihrem Mann Rinaldo, 49, und dem 13 Jahre alten Sohn Kian in dem hübschen Chalet oberhalb des Dorfes. Am Familientisch versammeln sich oft auch die beiden älteren Kinder ihres Mannes aus erster Ehe sowie Eltern, Schwiegereltern, Schwager, Schwägerinnen, Onkel, Tanten und Freunde. Die Pflege von Familie und Traditionen hat bei den Imhaslys einen grossen Stellenwert. Das zeigt sich beim alljährlichen gemeinsamen Backen von «Chruchteln» und «Chräpfli» während der Fasnachtszeit, oder bei der Teilnahme am Nachttrichje vom 5. Dezember, wenn Männer und Buben mit Kuhglocken in einer Prozession durch Fieschertal und Fiesch ziehen, um die bösen Geister zu vertreiben.

 

 

«Aber auch die Werte und Gepflogenheiten unserer Schweizer Kultur sind uns sehr wichtig», sagt Ramona Imhasly. Ihr Sohn spiele deshalb Schwyzerörgeli, eine in der Schweizer Volksmusik verwendete Variante einer Handharmonika. Zudem seien sie eine begeisterte Schwingsport-Familie. Papa Rinaldo ist im Schwingklub Oberwallis als Technischer Leiter tätig, Junior Kian und sein älterer Bruder sind als Schwinger aktiv dabei, und Ramona ist regelmässige Zuschauerin am Rand des Sägemehls.

 

Ein Herz für Hausmannskost und vergessene Spezialitäten

Nationale Berühmtheit erlangte Ramona Imhasly vor zehn Jahren mit der Teilnahme an der TV- Sendung «SRF bi de Lüt – Landfrauenküche». Damals bereitete sie vor laufender Kamera eine «Cholera» zu, und wird noch heute auf diese alte Walliser Spezialität angesprochen. «Ganz ehrlich nervt mich das mittlerweile, denn ich bin durchaus in der Lage, auch andere Gerichte zu kochen», erzählt sie mit einem Augenzwinkern und fügt an: «Und zwar am liebsten Hausmannskost.» Die Leidenschaft fürs Kochen wurde Ramona Imhasly von ihrer Schwiegermama vermittelt. Von ihr bekommt sie immer wieder alte Rezepte überliefert. Imhasly: «Damit sie nicht verloren gehen, trage ich sie in mein kleines Büchlein ein.»

Gerade hat die grossgewachsene Frau mit dem modernen Kurzhaarschnitt den Teig für ein Safranbrot geknetet. «Hefe, eine Prise Zucker, etwas warme Milch, Mehl, Ei, Butter, Salz und Safran – fertig, das ist keine Hexerei», sagt sie, während sie den Teig mit einem feuchten Tuch abdeckt, damit er aufgehen kann.

 

Regionale Küche: Der Traum vom eigenen Schafhof

Oft kommt bei Imhaslys auch Lammfleisch aus eigener Zucht auf den Tisch. 200 Tiere der Rasse Weisses Alpenschaf nennt die Familie ihr Eigen. Was momentan mit Einsatz der gesamten Familie als Hobby betrieben wird, soll bald zum Beruf werden. «Mein Mann träumt davon, hauptberuflich Schafbauer zu sein», erzählt Ramona. «Wir sind daran, einen neuen Stall zu bauen, damit wir dann 300 Tiere halten können.»

Während des Sommers weiden die Schafe frei im Märjelen-Gebiet. Vergangene Saison erstmals unter Aufsicht eines Hirten. «Zum Schutz vor dem Wolf», wie Ramona Imhasly erklärt. Zehn Tiere verlor die Familie bei Angriffen vor drei Jahren. «Das war grausam. Die halbtoten, angefressenen Tiere zu sehen, schlug uns allen auf die Psyche», erzählt sie weiter.


«Kian konnte aus Angst um seine Schafe sogar nicht mehr schlafen.» Seitdem ist auch der Stall am Dorfrand, wo sich die Tiere während des Winters aufhalten, mit hohen Gittern verbarrikadiert.

 

Ein Alltag zwischen Natur und Verwaltung

Für die Winterfütterung der Tiere müssen zwanzig Hektaren Land sowie zusätzliches Pachtland bewirtschaftet werden. Freizeit bleibt da nicht mehr viel. «Ich helfe gerne beim Heuen und auch beim Füttern, das ist mein Hobby und ein guter Ausgleich zu meinem Beruf. Doch hauptberuflich könnte ich nicht Bäuerin sein, da würde mir das ‹Büro› fehlen.»

 

 

Seit einem Jahr übt Ramona Imhasly das Amt als Gemeindeschreiberin von Fieschertal aus. 360 Einwohner zählt die Gemeinde, die in sieben Weiler aufgeteilt ist und flächenmässig als siebtgrösste Gemeinde der Schweiz gilt, zu der auch das Finsteraarhorn- und das Jungfraumassiv gehören. «85 Prozent des Unesco Weltnaturerbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch liegt auf unserem Fieschertalerboden, ebenfalls die Bergstation der Jungfraubahn auf dem Jungfraujoch. Somit gehört der höchstgelegene Bahnhof Europas uns», erzählt Imhasly nicht ohne Stolz.

Doch von all diesen Superlativen ist im schmucken Dorf im Talkessel wenig zu spüren. «Bei uns trumpfen Ruhe und Natur, dafür steht Fieschertal, und das schätzen nicht nur unsere Gäste, sondern auch wir Einheimische», sagt Ramona Imhasly und fügt hinzu: «Ich bin unendlich dankbar und fühle mich privilegiert, auf diesem wunderschönen Flecken Erde leben und arbeiten zu dürfen, wo andere Ferien machen.»